Buchtipp vom

Adalbert Stifter

„Der Nachsommer“, zum 150. Todestag von A. Stifter

Stifter Nachsommer

Am Ende eines der ganz großen Romane der deutschen Literatur, am Ende von Der Nachsommer, stehen die Wörter „Einfachheit, Halt und Bedeutung“. Sie charakterisieren eines der Bücher, die jeder kennt und die doch nur ganz wenige gelesen haben. Der Nachsommer von Adalbert Stifter ist ein solches Buch: ein Tausend-Seiten-Roman mit wenig Inhalt und doch voller Zauber, eine „Utopie von Raum und Zeit“, ein „Traum vom Glück“, von großer Genauigkeit des dichterischen Blicks und von einer Tiefe, „die in neuer Zeit nur von Göthe übertroffen ist“ (A. S.).

Ein solches Diktum des Autors teilten und teilen viele Kollegen und Leser beileibe nicht. Hebbel war es, der jedem, der freiwillig diesen Nachsommer zu Ende lesen werde, die Krone Polens versprach. Und Stifters größter „Feind“ Thomas Bernhard verstieg sich in einer grandiosen Beschimpfungssuada dazu, den Dichter des Nachsommer als den „langweiligsten und verlogensten Autor“ zu bezeichnen. Dagegen H. C. Artmann: „Alles Ungelesene ist vortrefflich“.

Was Wunder, dass die Romane Der Nachsommer und Witiko sowie die Erzählungen Bunte Steine und Studien, Die Mappe meines Urgroßvaters und andere nach den großen Erfolgen zu Lebzeiten des Dichters etwas in Vergessenheit geraten sind. Das bevorstehende Jubiläum - vor 150 Jahren, am 28. Januar 1868 ist Adalbert Stifter gestorben - bietet einen willkommenen Anlass, sich dieses Autors und seiner Bücher zu erinnern.

Das Leben Stifters war „einfach wie ein Halm wächst“. Und doch war dieses Leben, das am 23. Oktober 1805 in Oberplan im südlichen Böhmen begann und im Januar 1868 in Lenz mit dem Schnitt eines Rasiermessers durch den Hals endete, voller Konflikte und Spannungen. Früh schon verlor Adalbert seinen Vater. Der Besuch des Benediktiner-Gymnasiums Kremsmünster allerdings wurde von Stifter selbst als eine besonders glückliche Zeit bezeichnet. Hier wurden die Grundlagen für sein späteres Verhältnis zur Natur, zur Literatur und Kunst gelegt. Weniger glückliche Zeiten sollten folgen. Das Jura-Studium in Wien endete ohne Abschluss. 1827 gab es die ersten dichterischen Versuche im Zeichen von Klopstock, Herder und Jean Paul; und die erste Liebe – zu Fanny Greipl. Unerfüllt sollte sie bleiben, dafür erfüllten Selbstzweifel den jungen Mann.

Und das endgültige Zerwürfnis mit Fanny. Ihr sollte Amalie Mohaupt folgen, die er 1837 heiratete. Stifter malte (übrigens sehr beachtlich) und veröffentlichte 1840 die Erzählung Der Condor. Erfolg stellte sich ein, was auch notwendig war. Immer noch war der Dichter ohne feste Anstellung und Amalie sehr verschwendungssüchtig. So fristete er als Hauslehrer in Wien sein Leben. Nach und nach erschienen jedoch weitere Erzählungen: Feldblumen, Brigitta und Der Hochwald und 1842 die Erzählung Abdias, die den Durchbruch brachte. Nicht nur literarisch. 1848 war Stifter Wahlmann in der Frankfurter Nationalversammlung. Er siedelte nach Linz über, wurde endlich Schulrat und erhielt 1853 eine feste Anstellung.

Die Ehe mit Amalie war alles andere als glücklich. Die Ziehtochter Juliane nimmt sich das Leben. Längst hatte den Dichter auch die Freß- und Saufsucht endgültig erreicht. Der geniale Vielfraß vertilgte in einer Mahlzeit Brotsuppe, Geflügel, Fleisch und „noch ein Fleisch auf einem Sauerkraut“, dazu Rüben und Krautsalat und eine Unmenge dunkles Bier.

Als „Gegenentwurf“ zu diesem Leben kann Der Nachsommer (1857) gelesen werden, mit dem er sich „am Leben entlang geschrieben hat“, als eine Sehnsucht nach Harmonie, die ihm das Leben nicht zu bieten hatte. Ein Buch, das gerade deshalb ausgesprochen interessant, sprachlich unvergleichlich schön und sehr modern ist; von einem Meister der „Entschleunigung“, angeschrieben gegen die stete Beschleunigung der Welt.

Dieser große Bildungsroman des 19. Jahrhunderts erzählt in idealisierender Weise vom Weg eines jungen Menschen in das Erwachsenwerden. Da ist der junge Heinrich Detering, der vielerlei Studien betreibt und sich unter Anleitung des Freiherrn von Risach mit Natur und Kunst, mit Gesellschaft, Religion und Geschichte befasst. Nachdem er am Ende Nathalie, die Tochter von Risachs Jugendfreundin Mathilde heiratet, findet sein Leben „Einfachheit, Halt und Bedeutung“. Von Risach dagegen verzichtet auf eine Ehe mit Mathilde. So ist dieser Roman nicht nur eine Bildungs-, sondern auch eine Liebes- und Familiengeschichte.

Mehr noch aber stellt sich die Welt dieses Romans in ausführlichen Beschreibungen dar. Es ist die Vorstellung von Sittlichkeit und Schönheit, die Stifter dem Leser vermitteln will. Diesem Ansatz gelten auch die Kunst-Naturbetrachtungen - in einem von der Welt abgeschotteten „Paradies“, in einer Idylle. Immer kompositorisch verschränkt mit den Lebensläufen der beiden Paare. So ist dieser Roman ein Kunstgebilde der besonderen Art.

Nietzsche zählte den Nachsommer - vielleicht gerade wegen seiner Unzeitgemäßheit - zu den wenigen Werken deutscher Prosa, die es verdienten, „wieder und wieder gelesen zu werden“.

1865 erschien der Roman Witiko, und Adalbert Stifter wurde der Hofratstitel verliehen. Zunehmende Depressionen jedoch und eine Leberzirrhose wurden nahezu zur Lebensplage. Der Erfinder des sanften Gesetzes der Schönheit philosophierte am Ende sehr unschön mit dem Rasiermesser. Denn „...es war Glanz, es war Gewühl, es war unten…“.

© Günter Nawe

Adalbert Stifter, Der Nachsommer. dtv, 784 S., 18,- €

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