Buchtipp vom

Augustus und Die Veränderung der Welt: Der meisterliche Roman des John Williams

Williams Augustus

„Ich verstand wohl eher durch Instinkt als Klugheit, dass der, den das Schicksal zur Veränderung der Welt erwählt, sich zu allererst selbst verändern muss“. Ein Satz, wie in Stein gemeißelt, und eine nachdenkenswerte Sentenz für die „Weltveränderer“ aller Zeiten. Zu lesen in dem meisterhaften Roman des John Williams über den römischen Kaiser Augustus (63 v. Chr. - 14 n. Chr.).

John Williams (1922-1994) gehört zweifelsfrei zu den bedeutendsten Autoren der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Seine beiden Romane Stoner und Butcher’s Crossing, durchweg von weltliterarischem Rang, haben begeistert. Mit dem jetzt auf Deutsch erschienenen  - wenn man so will - Briefroman Augustus haben wir nun sein reifstes Werk vorliegen. Aber was heißt das schon bei diesem Autor, der wie kaum ein anderer immer auf höchstem Niveau schreibt, geschrieben hat.

Augustus - dieser historisch-biografische Roman kreist um die Frage, was es heißt, ein Mensch zu sein. Ein Mensch in seinem Leben und in seinem Wirken, mit seinen Schwächen und Stärken, mit seiner Verantwortung und am Ende mit dem „Wissen um die trivialen Untiefen, in die das Leben letztlich versinkt….“.  

Octavius: ein außergewöhnlicher Mann, ein Kaiser, der sich zum Gott erheben ließ, ein Ehemann und Vater, ein tiefgreifender Denker und letztlich „ein armes Geschöpf, das er nun einmal war“. Es sind überwiegend fiktive Briefe von Günstlingen und Spionen, von Freunden und Feinden, von Cicero, von Marcus Antonius und Kleopatra, von seiner Tochter Julia, von seiner Frau und vielen anderen; Erinnerungen, Notizen, Tagebucheinträge und Senatsprotokolle, die John Williams zu einem eindrucksvollen Porträt dieses Herrschers, der später den Namen Augustus tragen sollte und ein ganzes Zeitalter geprägt hat, zusammengefügt hat.

Geboren als Großneffe und Adoptivsohn des Julius Cäsar fällt dem jungen Octavius nach dessen gewaltsamen Tod ein großes politisches Erbe zu. Und damit eine gewaltige Aufgabe, der er sich mit enormer Willenskraft und ohne Wenn und Aber stellt. „Ich bin der Sohn von Julius Cäsar, und Konsul Roms, du wirst mich nie wieder einen Jungen nennen.“, soll er einmal gesagt haben. In der Tat – im Verlauf dieser aufregenden und spannenden Lebensgeschichte blieben sie mehr oder weniger alle auf der Strecke: seine Widersacher Cicero und Brutus, Cassius und Marcus Antonius.

Mit List und Tücke, mit Intelligenz und politischem Instinkt, aber auch mit Gewalt und Ruchlosigkeit gelingt es ihm, den größten Teil der damaligen Welt unter das römische Gesetz zu zwingen, unter eine Herrschaft, mit der eine einmalige Periode des Friedens und des Wohlstands bezeichnet wurde – die Pax Augusta. Eine politische Großtat, teuer erkauft. Aus dem Tagebuch seiner Tochter Julia: „’Vater’, fragte ich, ‚ist es das wert gewesen? Deine Macht, dieses Rom, das du gerettet hast, das von dir erbaut wurde? Ist es all das wert gewesen, was du getan hast?’“ „Mein Vater schaute mich lange an, dann wandte er den Blick ab. ‚Ich muss daran glauben’, sagte er. ‚Wir müssen beide daran glauben’.“ Trotz aller Zweifel und Bedenken: Er hat daran geglaubt – und die Welt verändert.

Vielstimmig ist der Chor derer, die den Aufstieg des etwas zurückhaltenden jungen Mannes zum absoluten Herrscher des Römischen Reichs beschreiben und kommentieren: sein politisches Wirken, seine Erfolge und Niederlagen, den Umgang mit seinen Widersachern und Feinden. Den Ehemann, der sich von seiner Frau entfremdet; den Vater, der seine einzige Tochter in die Verbannung schickt; den homo politicus, der Geschichte als zyklisch begreift und sein politisches Handeln danach ausrichtet;  den Freund, der mit Vergil korrespondiert und sich um dessen Gesundheitszustand sorgt – alle diese Stimmen bilden zusammengenommen ein farbiges, lebendiges Mosaik dieser großen Persönlichkeit.

Was also John Williams mit diesem Roman gelungen ist, ist nicht nur ganz große Literatur, es ist zugleich ein Werk der Zeit- und Menschheitsgeschichte. Ein Meisterwerk, spannend, faszinierend und berührend.

Letzteres bezieht sich auf den Schluss des Buches, in dem Augustus seinem Freund und Vertrauten Nikolaos von Damaskus am 9. August 14 n. Chr. von Bord eines Segelschiffes, das ihn nach Capri bringen soll, einen langen Brief schreibt, einen letzten Brief von einer letzten Reise. Er ist eine Art Vermächtnis, er ist zugleich die Bilanz eines großen, eines bedeutenden Lebens. Ein Brief, in dem Augustus einmal mehr die Frage stellt nach dem „Wer bin ich“, um am Ende zu resümieren: „Die Götter kümmert das armselige Wesen jedenfalls nicht, das sich seinem Schicksal entgegenmüht, und sie reden zu ihm so undeutlich, dass man letztlich selbst den Sinn herausfinden muss, was sie einem mitteilen wollen“.

Im „Epilog“ des Philippus von Athen an Lucius Annaeus Seneca lesen wir dann:
„Ich legte eine Hand auf seine Stirn, er sah mich noch einmal an, zog die Braue hoch und lächelte, dann wurden diese erstaunlich blauen Augen trüb, sein Leib zuckte, und er sank zur Seite. So verschied Gaius Octavius Cäsar, genannt Augustus, im Jahr des Konsulats des Sextus Pompeius und Sextus Appuleius am neunzehnten August um drei Uhr nachmittags. Er starb in demselben Raum, in dem schon sein leiblicher Vater, Octavius der Ältere, zweiundsiebzig Jahre zuvor gestorben war.“

© Günter Nawe

John Williams, Augustus. dtv, 480 S., 24,- Euro

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