Buchtipp vom

Longos

Daphnis und Chloe

Die räuberische Natur des Eros – Longos’ Daphnis und Chloe: Das bezauberndste Paar der Weltliteratur

Es war Goethe, der empfahl, den kleinen Schäferroman Daphnis und Chloe des Longos wenigstens einmal jährlich zu lesen. Eine Empfehlung, die heute noch ihre Gültigkeit hat - vor allem, weil jetzt eine großartige neue Übersetzung von Kurt Steinmann vorliegt.

Steinmann, der in diesem Jahr den Johann-Heinrich-Voß-Preis für Übersetzung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erhält, hat bereits grandiose Beispiele seiner Kunst vorgelegt - zum Beispiel mit Homers Ilias und Odyssee sowie der Orestie des Aischylos. Seine Übersetzungen zeichnen sich durch Präzision und sprachliche Eleganz aus. Und verdoppeln nun bei der Lektüre dieses berühmtesten Romans der Antike das Vergnügen.

Longos, von dem wir nicht allzu viel wissen, hat etwa im 2. Jahrhundert n. Chr. in Mytilene auf Lesbos gelebt. Das war’s eigentlich schon. Umso mehr aber wissen wir von seinem kleinen, großen, wohl schönsten und bezauberndsten Liebesroman der Weltliteratur - und damit von der aufregenden Geschichte um das Hirtenpaar Daphnis und Chloe. Ihnen ist es gegeben, die Liebe kennenzulernen. Das aber ist so einfach nicht. Doch Eros ist unerbittlich. Mit seiner räuberischen Natur führt er die beiden Kinder zum Ziel.

Noch ist das Paar nicht am Ziel, Umwege sind zu gehen und Gefahren zu bestehen. Der Leser hat daran teil und wird zeitweise zum Voyeur, wenn Chloe, bezaubert von seiner Schönheit, Daphnis anschaut; wenn Daphnis Chloe küsst - noch in aller Unschuld, schon jedoch mit der Ahnung, dass beide mehr erwartet.

Erst einmal aber verwirrt Unruhe ihre Herzen, während sie die Liebe entdecken, für die es kein Heilmittel gibt, „weder in Form eines Tranks, einer Speise noch gemurmelter Zaubersprüche, keines, außer Kuss und Umarmung und Zusammenliegen mit nackten Leibern“. So also tut Eros sein Werk. Er entfacht in den beiden Hirtenkindern die sinnliche Liebe, als Chloe den nackten Daphnis entdeckt und Daphnis durch Chloes Küsse sozusagen die Augen geöffnet werden. Doch es dauert bis zur Erfüllung dieser Liebe.

Das alles hat Longos höchst kunstvoll erzählt, und Kurt Steinmann - man möchte sagen: kongenial - übersetzt. Wenn es zum Beispiel darum geht, dass Daphnis immer noch nicht weiß, was es mit dem Zusammenliegen der nackten Leiber so auf sich hat. Hilfe kommt ihm von der Dirne Lykainion, die ihn letztlich in die ars amandi einführt und damit den Weg frei macht für die langersehnte Erfüllung dieser unschuldigen Liebe.

Ein herrlicher Liebesroman, eine bukolische Idylle, unvergleichlich schön. Kein Wunder, dass dieser Roman durch die Zeiten hinweg immer wieder Übersetzer gefunden hat - und begeisterte Leser. Noch einmal Goethe: „Man müsste ein ganzes Buch schreiben, um alle großen Verdienste dieses Gedichts nach Würden zu schätzen“.

© Günter Nawe

Longos, Daphnis und Chloe.
Ein Liebesroman.
Übersetzt und mit einem Nachwort von Kurt Steinmann.
Manesse Verlag, 192 S., 22,- €

Longos Daphnis

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