Buchtipp vom

Hazel Hutchison, "Henry James"

Das Leben leidenschaftlich befragen: Hazel Hutchison über Henry James
Hutchison Henry James

Am 28. Februar 1916 starb in Chelsea / Großbritannien der große amerikanische Erzähler Henry James. Hinterlassen hat er ein umfangreiches Werk von Romanen und Erzählungen, die allesamt zum Kanon der Weltliteratur gehören. Die Devise, unter die er sein Schreiben gestellt hatte - das Leben leidenschaftlich befragen - hat sich auch die englische Literaturwissenschaftlerin Hazel Hutchison zu eigen gemacht. „Leidenschaftlich" und doch mit kritischer Distanz hat sie sich dem Leben und Werk von Henry James gewidmet. In mehreren Publikationen hat sie schon Wesentliches über ihn zu sagen gewusst und kann deshalb als Expertin gelten.

Rechtzeitig zum 100jährigen Todestag des Schriftstellers liegt nun ihre Biografie auch in deutscher Sprache vor. In ihr erleben wir Henry James als Menschen und als Schriftsteller – und beides ist nicht voneinander zu trennen. Wie eben häufig sich Leben und Werk einander bedingen. So also auch bei dem am 15. April 1843 in New York geborenen Autor, der später zu den bedeutendsten Schriftstellern seiner Zeit gehören sollte – und dessen Bücher bis heute nichts an literarischer Strahlkraft verloren haben.

In seinen Reiseberichten, seinen Kurzgeschichten und Theaterstücken, vor allem aber in seinen Romanen – hier die bedeutendsten:„Bildnis einer Dame", „Washington Square", „Die Drehung der Schraube", „Die Europäer" und „Die Gesandten" – beweist Henry James eine sehr subtile, eine intime Kenntnis menschlicher Psyche. Alle sind Beispiele großer Kunst des Erzählens. Mit schonungslosem Sinn für die Schwächen seiner Protagonisten beschreibt er schicksalhafte Verwerfungen. Seine Bücher sind mit Scharfsinn und Ironie, manchmal mit Bosheit geschrieben. Und sind durchweg Meisterwerke. „Trotz des Gefühls des Scheiterns, das ihn sein Leben lang verfolgte...", wie Hazel Hutchison schreibt.

Die Biografin hat in knappen und sehr übersichtlichen Kapiteln die Stationen dieses Schriftstellerlebens nachgezeichnet. Der Sohn einer sehr wohlhabenden Familie musste zu keiner Zeit einem Broterwerb nachgehen. Mit 19 Jahren studiert er Rechtswissenschaften in Harvard, schreibt erste Rezensionen und Kurzgeschichten und arbeitet als Mitarbeiter einer Zeitung. Doch nicht Jura, Literatur wird sein Metier.

Henry James begibt sich auf Reisen – nach England, nach Frankreich und Italien. Er studierte in London und Paris, in Bologna und Bonn. So wird Europa ihm sozusagen zur zweiten Heimat. Und wie er bewegen sich auch seine Figuren häufig in zwei Welten. Allerdings sollte er erst 1905 wieder seine alte Heimat Amerika besuchen. Deshalb steht auch auf seinem Grabstein, er sei der Chronist einer Generation „on both sides of the sea" gewesen.

1875 ließ sich Henry James endgültig in England nieder, wurde 1915 sogar englischer Staatsbürger. Er bewegte sich in Europa wie in einer zweiten Heimat – und passte sich ihr auch in seinem Lebensstil an, ohne jedoch den inneren Kontakt zur ersten Heimat zu vernachlässigen. Er lernte hier bedeutende Zeitgenossen und Kollegen kennen: Iwan Turgenjew und Gustave Flaubert, Oscar Wilde und Joseph Conrad. Und die großartige amerikanische Autorin Edith Wharton, mit der er eng befreundet war. Auswirkungen auf sein Werk? Sicher – auch wenn es dessen gar nicht bedurfte. Henry James war ein Autor sui generis. Er zeichnete sich durch eine scharfe, alles registrierende Beobachtungsgabe und durch eine perspektivische Bewusstseinskunst aus, die wegweisend für den modernen, den psychologischen Roman waren. Einen großen Einfluss auf sein Werk hatte übrigens Goethe – vor allem dessen „Wilhelm Meister".

Das Innenleben seiner Figuren, vor allem der vielschichtig und präzise gezeichneten Frauenfiguren, beschreibt er mit gleichem Detailreichtum wie die Zeiterscheinungen zu Beginn der industriellen Revolution. Konventionen stehen auf dem Prüfstand und moralische Dogmen in Frage. Beispielhaft steht dafür einer seiner besten Romane „Bildnis einer Dame". Als „Meister der indirekten Charakterisierung" ist James einmal bezeichnet worden. Zu Recht. Das spiegelt sich auch da wider, wo er Figuren „geschaffen" hat, die die Unterschiede zwischen „Alter Welt" und „Neuer Welt", zwischen Amerika und Europa repräsentieren. Gerade diese Unterschiede spielen in Henry James' literarischer Welt eine entscheidende Rolle – nicht überraschend bei einem Autor, der in diesen beiden Welten zuhause war.

Lange blieb Henry James im deutschen Sprachraum ein literarisches Stiefkind. Erst jetzt kann man von einer Art Henry James-Renaissance sprechen. Und das nicht nur dank der Biografie von Hazel Hutchison, sondern auch dank der wunderbaren neuen Übersetzungen seiner Romane und Erzählungen.

Es gibt einen wunderschönen und absolut richtigen Satz über Henry James: „Ein Leben ohne Henry James ist möglich, aber sinnlos." Wie wahr!

© Günter Nawe

Hazel Hutchison, Henry James. parthas berlin, 300 S., 24,80 €

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