Buchtipp vom

James Baldwin

„Beale Street Blues“: Eine Ballade von Liebe und Tod

Er war eigentlich nie so ganz weg - und ist doch endlich wieder da: James Baldwin (1924-1987). Er war (und ist) einer der ganz großen amerikanischen Autoren, dessen Bücher jetzt wieder in wunderbaren, neuen Übersetzungen von Miriam Mandelkow erschienen sind. Vor einigen Monaten war es der Roman Von dieser Welt, der großes Aufsehen erregt hat; jetzt ist es der Roman Beale Street Blues.

James Baldwin war nicht nur ein außergewöhnlicher Schriftsteller - und sicher einer der interessantesten seiner Zeit. Er war auch ein politischer Autor. Seine Teilnahme an der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, seine Nähe zu Martin Luther King, sein Einstehen für Schwule haben ihn zu einer Ikone werden lassen.Seiner Wut über Unrecht, Apartheid und Ignoranz, aber auch sein unerschütterlicher Glaube an die Vernunft - all das kommt in seinen großartigen Büchern zum Ausdruck. Wie in Beale Street Blues.

„Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street geboren. Die Beale Street ist unser Erbe. Dieser Roman handelt von der Unmöglichkeit und von der Möglichkeit, von der absoluten Notwendigkeit, diesem Erbe Ausdruck zu geben. Die Beale Street ist eine laute Straße. Es bleibt dem Leser überlassen, aus dem Schlagen der Trommeln den Sinn herauszuhören.“ So James Baldwin über seinen Roman.

Ein Roman, der wie ein Blues ist, wie ein traurig-schöner Song einer großen Liebe; der wütend macht und doch eine Geschichte voller Hoffnung ist. Er ist eine Anklage gegen die weiße Justiz, gegen Willkür, gegen Rassismus, gegen Unmenschlichkeit. Und er ist überwältigende Literatur.

Beale Street Blues erzählt die Geschichte von Tish und Fonny, einem jungen Liebespaar aus der Beale Street. Sie leben im Harlem der siebziger Jahre und haben sich verliebt. Sie wollen heiraten, Tish wird schwanger. Und Fonny? Er wird der Vergewaltigung einer jungen Frau beschuldigt und landet im Gefängnis. Zu Unrecht. Er ist ein Opfer der Rassenproblematik, einer weißen Justiz, die immer nur einen Schuldigen kennt: den Schwarzen. Doch Tish und ihre Familie resignieren nicht. Sie legen mit Hilfe eines Anwalts alles daran, Fonny aus dem Gefängnis zu bekommen, bevor sein Kind geboren wird.

James Baldwin war ein begnadeter Erzähler. Und so ist Beale Street Blues einstilistisches Meisterwerk.Auf der Hintergrundfolie des Lebens im Harlem der siebziger Jahre erzählt Baldwin mit größter Genauigkeit die Geschichte von Tish und Fonny einerseits als rührende Love Story, andererseits als eine Geschichte voller Wut und Zärtlichkeit und voller Poesie. Nur ein Beispiel für die sprachliche Brillanz: Als Tish und Fonny das erste Mal miteinander schlafen, berichtet Tish über ihre Entjungferung: „Auf einmal sang etwas in mir, und sein Körper wurde heilig…. Ich wollte lachen und weinen. Dann fing etwas absolut Neues an, ich lachte, und ich weinte, und ich rief seine Namen“. In den Beschreibungen des Lebens in Harlem, der Familiengeschichten, der Straßenkämpfe, der Auseinandersetzungen zwischen Schwarzen und Weißen dagegen kommt der Zorn, die Brutalität, das Böse schlechthin zum Ausdruck.

Der Roman in seiner Eindringlichkeit und seiner Sprachmächtigkeit lässt den Leser nicht los - auch über die Lektüre hinaus. Er lässt ihn vergessen, dass er es mit Literatur zu tun hat. James Baldwin schildert in dieser Ballade von Liebe und Leid auf unnachahmliche Weise das Milieu, in dem die beiden jungen Menschen leben, lieben und leiden. Und dabei entlarvt er die Mechanismen des Rassismus. In seinem lesenswerten Nachwort bezeichnet Daniel Schreiber Beale Street Blues als Baldwins „erschütterndstes Buch über die Psychologie des Rassismus“.

Am Ende wird der Leser von Beale Street Blues „aus dem Schlagen der Trommeln den Sinn heraushören“.

© Günter Nawe

James Baldwin, Beale Street Blues.
dtv, 224 S., 20,- €

Baldwin Beale Street

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