Buchtipp vom

James Joyce: „Ulysses“

Ein „Roman der ganzen Welt“
Joyce Ulysses
James Joyce: „Ulysses“
Suhrkamp Verlag
987 Seiten, 16,- €

„Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es den Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit." So James Joyce über seinen Roman „Ulysses". Und nicht nur Professoren. Auch der Leser hat sowohl Mühe als auch Freude daran, sich mit diesem „Kontinent" eines Romans zu befassen. Und so ist der 70. Todestag des James Joyce am 13. Januar eine willkommenen Gelegenheit, auf diesen „Roman der ganzen Welt" (Dirk Vanderbeke) als „Unser Buch des Monats" hinzuweisen.

James Joyce wurde am 2. Februar 1882 in Rathgar, einem Vorort von Dublin, geboren. Die Ausbildung bei Jesuiten bestimmte nachhaltig sein Verhältnis zur Religion und zur bedrückend empfundenen katholischen Kirche. Er studierte Literatur und Sprachen, später auch Medizin. Ab 1900 beginnt James Joyce zu schreiben - und beschließt, Schriftsteller zu werden. 1903 zieht er nach Paris, wo er den autobiografischen Roman „Stephen der Held" fertigstellt, der 1916 unter dem Titel „Das Portrait des Künstlers als junger Mann" veröffentlicht wird. Am 16. Juni 1904 lernt er seine Frau Nora Barnacle kennen. Dieses Datum steht in direkter Beziehung zum Joyceschen Hauptwerk, dem „Ulysses". Nach der Hauptfigur Leopold Bloom benannt ist der 16. Juni als Bloomsday ein weltweit gefeierter Gedenktag.

Joyce zieht mit Nora nach Triest, für kurze Zeit nach Rom, lebt dann noch einmal in Triest, bevor er sich 1915 in Zürich niederlässt. Hier beginnt er mit dem „Ulysses". Erste Episoden erscheinen 1918 in amerikanischen Zeitschriften - und werden wegen pornografischer Passagen verboten. Erst 1922 erscheint der Roman im Verlag der berühmten Pariser Buchhandlung „Shakespeare [[&]] Co.". Mittlerweile ist der Schriftsteller fast erblindet, heiratet 1931 endlich Nora Barnacle. Er schreibt an seinem zweiten großen Werk „Finnegans Wake" und stirbt am 13. Januar 1941 in Zürich.

„Rätsel und Geheimnisse" also zeichnen den Roman „Ulysses" aus. Mit ihm hat der irische Schriftsteller die Literatur revolutioniert, neue Formen gefunden und Tabus gebrochen. Und er hat damit die eingangs zitierte und sicher ironisch gemeinte „Unsterblichkeit" erlangt. Auf über tausend Seiten schildert James Joyce den 16. Juni 1904, von acht Uhr morgens bis zwei Uhr nachts. Die beiden Hauptfiguren dieses Romans, Leopold Bloom, Anzeigenakquisiteur, und Stephen Dedalus, Hilfslehrer, werden von ihrem Autor auf ihren Wegen durch die Stadt begleitet.

Bloom verlässt sein Haus in der Eccles Street 7, kauft eine Niere, bringt seiner Frau Molly die Post, wandert mehr oder weniger ziellos durch die Stadt, während ihn seine Frau Molly betrügt, besucht einen Gottesdienst, geht in ein Badehaus, zu einer Beerdigung, ins Büro, an den Strand, wo er Frauen beobachtet, zu einer Party, in ein Entbindungsheim und in ein Bordell.

Achtzehn Kapitel gleich achtzehn Stunden eines Tages im Leben des Leopold Bloom. Eine klassische Handlung sucht man vergeblich. Joyce erzählt keine Geschichte, sondern bildet die Wirklichkeit ab. Er selbst dazu: „Ich schreibe zurzeit an einem Buch, das sich auf die Irrfahrten des Odysseus stützt... und die Irrfahrten meines Helden beanspruchen nicht mehr als achtzehn Stunden:" Wie bei Homer sucht der Sohn (Dedalus) den Vater (Telemachie), der Vater den Sohn (Odyssee). Am Ende steht die Heimkehr (Nostos) von Bloom in die Eccles Street, 7. Das alles ist versetzt mit homerschen Motiven, Joyce benutzt Versatzstücke aus der „Odyssee", es gibt eine Fülle von Anspielungen und Zitaten. Der Autor bedient sich dabei aller möglichen Quellen aus Literatur, Geschichte, Religion, Medizin. Es gibt so gut wie nichts, das er sich nicht zu eigen gemacht hätte.

Letztlich war es „das Wunder des Wortes", das nach Fritz Senn James Joyce ein Leben lang beschäftigt hat. Ihm verschafft er nicht nur mit besonderen, sehr komplizierten Sprachexperimenten - in mehreren Sprachen gleichzeitig -, sondern auch in Form des „Bewusstseinstroms" (stream of consciousness) Geltung; eine literarische Form, die Joyce wie kein anderer konsequent und radikal verwendet hat. Dafür steht der weltberühmte Monolog der Molly Bloom am Ende des Romans mit den Schlusszeilen „... und wie er mich geküßt hat unter der maurischen Mauer und ich hab gedacht na schön er so gut wie jeder andere und hab ihn mit den Augen gebeten er soll doch noch einmal fragen ja und dann hat er mich gefragt ob ich will ja sag ja meine Begblume und ich hab ihm zuerst die Arme um den Hals gelegt und ihn zu mir niedergezogen daß er meine Brüste fühlen konnte wie sie dufteten ja und das Herz ging ihm wie verrückt und ich hab gesagt ja ich will Ja."

Nach der anerkennenswerten Übersetzung von Georg Goyert (1956), der erstmals dem deutschen Leser diesen Roman vorgestellt hat, folgte 1975 die komplette Neuübersetzung, die dieser Besprechung zugrunde liegt, durch Hans Wollschläger. An ihr kann der Leser am ehesten die Bedeutung dieses Werks für die Literatur ingesamt erkennen - als „das Werk eines der größten Schriftsteller, eines der größten nicht nur unserer Zeit, sondern aller europäischen Literaturen." (T.S. Eliot).

Für den Leser heißt das: Er wird sich mit einem komplizierten, einem anstößigen, einem aufregenden Werk, einem Meisterwerk beschäftigen. Und das nicht nur einmal, sondern immer wieder. Er wird versuchen, hinter die „Rätsel und Geheimnisse" zu kommen. Und das wird Mühe sein - und Spaß, ja: auch das!

© Günter Nawe

James Joyce: „Ulysses“
Suhrkamp Verlag, 987 Seiten, 16,- €

James Joyce: „Ulysses“
Suhrkamp Verlag, 987 Seiten, 16,- €

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