Buchtipp vom

Leila S. Chudori, "Pulang"

Heimkehr nach Jakarta: Über Indonesiens dunkelstes Kapitel

Nach Hause gehen, heimgehen, zurückkehren – so übersetzt das Wörterbuch das indonesische Wort „pulang". So heißt auch der Roman der indonesischen Autorin Leila S. Chudori, der jetzt rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse auf Deutsch erschienen ist.

Indonesien ist in diesem Jahr Gastland dieser Buchmesse - und eröffnet uns unter dem schönen Titel „17.000 Inseln der Imagination" einen Blick auf eine bisher wenig bekannte bis gar unbekannte Literatur. Sich darauf einzulassen, die Bücher zu lesen, die jetzt zum Teil erstmals in deutscher Sprache erscheinen, ist ein schönes, ein gewinnträchtiges Abenteuer.

„Pulang" ist ein Roman über die Regierungszeit des indonesischen Präsidenten Suharto, der das Land diktatorisch von den sechziger bis in die neunziger Jahre regiert hat und für das Massaker in den Jahren 1965/1966 verantwortlich war. Hass, Verfolgung und Ermordung der missliebigen Kommunisten bestimmen das politische Klima in Indonesien – mit Nachwirkungen bis in die heutige Zeit hinein. Denn noch ist diese Zeit nicht aufgearbeitet. Eine solche Aufarbeitung versuchen aber immer wieder indonesische Autoren – und dies mit großem Erfolg.

So der Roman von Leila S. Chudori, die zurzeit wohl als die wichtigste Stimme der indonesischen Literatur gilt. Sie erzählt diese Geschichte und die Geschichte der Betroffenen, der Linken im Lande und des Journalisten Dimas Suryo, der das Land (zusammen mit Freunden) verlassen musste. Sein Land, dem er im fernen Paris nachtrauert, in das er sich eine Rückkehr wünscht, eine „Rückkehr nach Jakarta". Dennoch hat Dimas Suryo in Paris so etwas wie eine Heimat gefunden. Er lernt bei den 68er Studentenunruhen die schöne Vivienne kennen, heiratet sie, bekommt eine Tochter und eröffnet das Tanah Air, ein indonesisches Restaurant. Mit seinen Freunden Mas Nugroho, mit Mas Hanato, mit Tjai und Risjaf, mit den Vier Säulen des Tanah Air, versuchen sie, in Paris ein Stück Heimat zu etablieren.

Dennoch ließ die Exilierten ihre Vergangenheit nicht los. Leila S. Chudori berichtet, phasenweise nahezu dokumentarisch, vielstimmig und literarisch anspruchsvoll von den Geschehnissen im fernen Indonesien, von den Gefahren und Erlebnissen, von Liebe und Hass sowie familiären Komplikationen – und vor allem von der Sehnsucht und dem Wunsch, nach Jakarta zurückzukehren.

Litang Utara, die Tochter von Dimas und Vivienne, ist mit diesen Erinnerungen und mit dieser Sehnsucht groß geworden. Mittlerweile Studentin erhält sie 1998 von ihrem Professor den Auftrag, einen Dokumentarfilm über Indonesien zu drehen. Sozusagen stellvertretend für ihren Vater gibt es für sie eine „Heimkehr nach Jakarta". Was ursprünglich Neugier und Pflicht war, wurde zur Teilnahme. Denn auch Litang Utara gerät in die politischen Wirrungen, erlebt Verfolgung und Folter – an vielen Freunden und an sich selbst. Und eine neue Liebe. Gleichzeitig ist es für sie ein Zurück zu ihren Wurzeln, zu Angehörigen und Freunden ihres Vaters und seiner Freunde. Und damit auch ein Stück zu einer Kultur, die ihr erst einmal fremd, dann immer vertrauter wurde.

Leila S. Chudori gelingt eine wunderbare Verbindung, in der auch die indonesische Mythologie ihren Platz hat, zwischen persönlichen Schicksalen und politischen Ereignissen. Fast in einer Art Wechselgesang lässt sie jede ihrer Figuren in einem inhaltlich und formal kunstvollen Geflecht und auf wechselnden Zeitebenen erzählen. Ein beeindruckender Roman, ein großartigen Buch, in dem wir etwas von dem spüren, was Dimas Suryo einmal so formuliert hat: „Journalist zu sein war für mich eine Arbeit, bei der man sich die Macht der Wörter zunutze machte wie ein Koch die Magie der Gewürze." Die gilt auch für Leila S. Chudori, Journalistin und Autorin, die sich in ihren Büchern der Macht der Wörter erfolgreich bedient.

Leila S. Chudori ist, auch wenn sie an dieser Stelle ausführlich gewürdigt wird, nur eine von mehreren wichtigen Autorinnen und Autoren, die Indonesien, die indonesische Literatur auf der Frankfurter Buchmesse repräsentieren. Gleichberechtigt sind zu nennen: Laksmi Pamuntjak („Alle Farben Rot"), Ayu Utami („Saman") und zum Beispiel der Schriftsteller Andrea Hirata, der mit seinem autobiografischen Roman „Die Regenbogentruppe" aufmerksam gemacht hat.

Dies und mehr wird die Frankfurter Buchmesse vermitteln. Und in Köln und somit hautnah die Aktion „17.000 Inseln der Übersetzung". Mangels Kenntnis der indonesischen Sprache sind die meisten Leser auf Übersetzungen angewiesen. Sabine Müller, die Übersetzerin des Romans „Pulang" und die Islamwissenschaftlerin und Übersetzerin Larissa Bender sind vermitteln ihre Erfahrungen mit den Übersetzungen und sind kundige Reisebegleiter durch die Welt der indonesischen Literatur – bei einer Veranstaltung in der Lengfeld'schen Buchhandlung am 30. September 2015, 19:30 Uhr, der am 1. Oktober eine Veranstaltung mit indonesischen Texten gelesen von Elisabeth Hartmann folgt.

© Günter Nawe

Leila S. Chudori, „Pulang". Aus dem Indonesischen von Sabine Müller. Weidle Verlag, 432 S., 25,- €

zurück