Buchtipp vom

Mary Shelley

Streifzüge durch Deutschland und Italien in den Jahren 1840, 1842 und 1843

„Pferde fressen viel Brot in Deutschland“
Shelley Streifzüge

Italien - Sehnsuchtsland. Das war es auch für die britische Schriftstellerin Mary Shelley (1797-1851), Autorin u. a. des Romans Frankenstein. Entdeckt hatte sie Italien auf ihrer ersten Reise mit ihrem Mann Percy Bysshe Shelley 1818. Im gleichen Jahr starb ihre Tochter Clara in Venedig, der Sohn William 1819 in Rom - und ihr Mann Percy ertrank 1822 im Meer bei Viareggio. Ereignisse, die normalerweise kein Anlass sind, dieses Land zu lieben. Und doch …

Dies musste vorausgeschickt werden, weil diese schrecklichen Ereignisse viele Jahre später bei den Streifzügen durch Deutschland und Italien in den Jahren 1840, 1842 und 1843, die sie mit ihrem Sohn Percy unternimmt, eine nicht unwichtige Rolle spielen sollten. Diese Reiseerinnerungen liegen nun (als erster von zwei Bänden) in einer wunderschönen Ausgabe vor - vorzüglich ediert, von Nadine Erler übersetzt und mit einer Einführung versehen, und mit einem kenntnisreichen und informativen Nachwort von Rebekka Rohleder.

Ihre Reiseberichte schreibt die Autorin als Briefe an fiktive Empfänger. Sie beobachtet - zum Beispiel auf ihrer Reise 1840 von Dover über Paris nach Metz und Trier, über Darmstadt nach Baden Baden, von Zürich nach Cadenabbia, zum Comer See und nach Lecco bis Mailand - Land und Leute, schaut sich die Landschaften an, trifft Freunde, reflektiert über Geschehnisse und sieht diese und die weiteren Reisen „als ‚Pilgerfahrt‘, die ihre Trauer um Mann und Kinder lindern soll (Nadine Erler).

Privates wird öffentlich und ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Erinnerungen. Ihr Gefühlsleben bleibt nicht ausgespart, vor allem wenn es um die tragischen Ereignisse der Vergangenheit geht. Aber Mary Shelley liebt Italien, dessen Sprache sie spricht, sie weiß um seine Kultur, kennt sich aus in seiner Geschichte. Darüber wird noch ausführlicher berichtet werden - im Band zwei dieser Reiseerinnerungen.

1842 also nach Deutschland. Auch mit dieser Reise erhofft sich die Autorin Ablenkung, Inspiration und Heilung. Das allerdings verstellt ihr den Blick nicht für Landschaft und Leben des Landes und seiner Menschen. Sie beobachtet, sie beschreibt - ohne Urteile zu fällen, aber oft selbstironisch und witzig. So stellt sie fest: „Pferde fressen viel Brot in Deutschland“. Sie bedauert ihre mangelnden Deutschkenntnisse („eine Schande“). Die oft elend langen Kutschfahrten machen ihr manche Beschwernisse. Kritisch werden deutsche Hotels beurteilt. Und der Kuraufenthalt in Bad Kissingen - ihm sind immerhin drei lange Briefe gewidmet - ist für Mary Shelley Anlass zu vielen abfälligen, süffisanten Bemerkungen überhaupt und über die ärztliche Kunst im Besonderen.

Köln ist wohl erwähnt, denn „wir fuhren sofort zu einem Hotel nahe am Fluss. Wir kamen zu spät und reisten zu früh wieder ab… Verachte uns nicht - ich habe vor, wieder hinzufahren“.  Heidelberg dagegen, das sie bereits 1840 besuchte, ist „altertümlich, malerisch, ungekünstelt, so wie wir uns deutsche Romantik vorstellen“. Erfurt fand ihre Aufmerksamkeit dank Luther. In Weimar besuchte sie „die Wohnstätten von Wieland, Schiller und Goethe“ und kam zu dem Schluss, dass Goethe nie „ein Ganzes“ geschaffen habe, sondern nur „Bruchstücke“. Schon allein deshalb war für sie „Schiller immer der größere Dichter. Seine Werke sind vollständiger…“.

Von Leipzig aus reist die kleine Reisegesellschaft mit der Eisenbahn nach Berlin. Sie besucht das Schloss, eine Eisengießerei und das Museum, flaniert Unter den Linden und sieht und hört in der Oper „Masaniello“, „was ich sehr bedauerlich fand, denn in Deutschland möchte ich deutsche Musik hören“. In Dresden ist es nicht nur die Sixtinische Madonna, die ihre besondere Aufmerksamkeit findet; sie spaziert auf der Brühl‘schen Terrasse und besichtigt die Gemäldegalerie.

„Adieu Dresden. Eine lange, lange Reise liegt vor uns…“ - in die Bäder von Toplitz und nach Prag, das die Reisegesellschaft am 31. August 1842 erreicht.

Am Ende der interessanten und spannenden Lektüre dieses wunderschönen Buches, das zudem durch herrliche Illustrationen glänzt, stellt sich Bedauern ein, dass Mary Shelley (vorläufig) schon angekommen ist - und Vorfreude auf Band zwei der Streifzüge, der im Frühjahr 2018 erscheinen soll.

© Günter Nawe

Mary Shelley, Streifzüge durch Deutschland und Italien in den Jahren 1840, 1842 und 1843. Band 1. Corso Verlag, 254 S., 24,- €

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