Buchtipp vom

Richard Price: „Cash“

„Heute nicht, mein Freund“ - Richard Price hat mit „Cash“ einen großen Roman geschrieben
Price Cash
Richard Price: „Cash“
S. Fischer Verlag
521 Seiten, 19,95 €

„Er blickte durch den Raum auf den Zeitungsständer; seine Schmach hing dort wie büschelweise Haar. Das Trinkgeld abzuschöpfen reichte nicht. Er hatte neuntausend, fünftausend davon als Anzahlung für das schwachsinnige Drehbuch, das nie das Licht der Welt erblicken würde, und nichts sonst, kein verwertbares Talent, nichts im Köcher als ein Restaurant zu führen und die Vorstellung, selbiges in upstate New York zu tun und sonstwo ..."

Eric Cash, als Drogendealer vorbestraft und titelgebende Figur im neuen Roman des Richard Price, hat es nicht leicht und macht es sich nicht leicht. Er hat in der Tat kein anderes Talent als ein Restaurant zu führen und irgendwelchen Träumen nachzuhängen. Er ist einfach ein Loser.Aus diesen Träumen wird er jäh herausgerissen. Nach einer Sauftour werden Eric und seine Freunde Opfer eines Raubüberfalls, bei dem Ike erschossen wird. Dessen letzten Worte, bevor der tödliche Schuss fiel: „Heute nicht, mein Freund".

Bei diesem Überfall hat sich Eric nicht besonders heldenhaft verhalten. Schlimmer noch: er wird von der Polzei verdächtigt, den tödlichen Schuss selbst abgegeben zu haben. Zwar gibt es keine Beweise, die Waffe wird vorerst nicht gefunden und die vermeintlichen Zeugen erweisen sich als sehr fragwürdig. Dennoch wird Eric von der Polizei erst einmal für den Täter gehalten. Bei den stundenlangen Verhören verstrickt er sich immer wieder in Widersprüche, wird entlastet und wieder belastet. Brillant geschildert - meist durch eine kluge und sehr anschauliche Dialogführung, direkt und umgangssprachlich und dadurch sehr realistisch - auch die beiden ermittelnden Polizisten: Detective Matty Clarke und seine Kollegin Yolanda: beide besonders starke Figuren in diesem mit außergewöhnlichem Personal besetzten Buch. Von allen bietet Richard Price exzellente Psychogramme an.

Nicht nur Eric, auch Matty und Yolanda haben letztlich ihre Probleme. Erst wird von ihnen die Überführung des Täters erwartet, und nach dessen Unschuldsbweis werden sie kritisiert wegen zu harten Vorgehens. Am Ende der Ermittlungen war es Tristan, der den tödlichen Schuss abgab.

Dies alles hat höchste Krimiqualität, wie wir sie unter anderen von Chandler und Hammet kennen. Gleichzeitig steht Richard Price mit diesem Roman in der großen Tradition amerikanischer Romanciers wie etwa Dos Passos. „Cash" (im Deutschen ein etwas irritierender Titel, im Original heißt der Roman „Lush Life") geht weit über den Krimiplot hinaus. Richard Price entwickelt daraus auf großartige realistische Weise den Roman einer multiplen, zerrissenen Gesellschaft - kritisch, hautnah und direkt. Schon deshalb, weil er in New Yorks Manhattan, in der berühmt-berüchtigten Lower East Side, spielt; diesem Schmelztigel von Kulturen und Ethnien, von Arm und Reich, wo Drogen, Sex und Verbrechen an der Tagesordnung sind, wo kleine Kriminelle und kriminelle Schwergewichte ihr Unwesen treiben. Mit der Schilderung vermittelt Price aber auch eine Botschaft, die er so formuliert: „...wenn man die Lebensgeschichten von jedem dieser Jungs nimmt, die Verbrechen verüben... niemand wird als mörderisches Monster geboren... Ich glaube, dass die Umwelt wichtiger ist als die Biologie".

Um diese „Umwelt geht es denn auch vordringlich. Neben den „hängenden Gärten aus uralten Feuerleitern" auf der dunklen Seite der Lower East Side gibt es die teuren Lofts und die Bars, in denen sich die Reichen, Yuppies, Künstlertypen und eine sehr fragwürdige Bohème vergnügen. Eine explosive Mischung. Lesend erlebt der Leser diese Gesellschaft im Umbruch, mit allen Verwerfungen, die damit verbunden sind. „Die Lower East Side ist so gewaltig groß, wenn man die multiplen Welten bedenkt, die dieses Viertel geprägt haben", so Richard Price. In diesem aufregenden Roman erzählt er davon. Er erzählt jedoch keine erfundenen Geschichten, sondern bildet die Wirklichkeit mit den Mitteln der Literatur ab. Und das spannend und detailversessen. Ein Roman auch mit einem ganz eigenen Sound - mit einer Mischung aus Jazz und Rockoper.

Price hat einen äußerst genauen Blick auf die Welt, die er in diesem Roman beschrieben hat. Ein Roman, von Miriam Mandelkow kongenial übersetzt, der vor den Augen des Lesers wie ein Filmszenario abläuft. In einem Interview deutete Richard Price zwar an, dass „Cash" kein Drehbuch sei - wie man nach Konstruktion und Durchführung des Romans vielleicht vermuten möchte. Er habe aber bereits ein Drehbuch nach „Cash" geschrieben. Wir dürfen gespannt sein.

© Günter Nawe

Richard Price: „Cash“
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 521 Seiten, 19,95 €

Richard Price: „Cash“
S. Fischer Verlag, 521 Seiten, 19,95 €

Price Cash

zurück