Buchtipp vom

Vincent van Gogh

„Wie oft bin ich schrecklich und reizbar“: Van Goghs Briefe

van Gogh Briefe

Dieses Buch ist ein kleines Ereignis. Nicht, dass die Briefe van Goghs nicht schon bekannt wären; nicht, dass wir über das Leben und das Werk dieses Ausnahmekünstlers nicht bereits hinreichend informiert wären … Aber: Wir haben es hier mit einem Prachtband zu tun, der durch Ausstattung glänzt, der in einer neuen Übersetzung von Marlene Müller-Haas und Susanne Röckel einen anderen, einen rationalen van Gogh zeigt, einen van Gogh, der ein brillanter Briefsteller von literarischem Rang war. Ein Prachtband auch dank der rund 140 Originalzeichnungen und Faksimiles. Ein Buch, dass uns neue, andere Einsichten in Leben und Werk des Vincent van Gogh vermittelt.

„Manch einer hat ein großes Feuer in seiner Seele“ - so jedenfalls ist dieses wunderbare Buch überschrieben. Und dieser Satz beweist sich in fast jedem der veröffentlichten Briefe. In Ihnen und durch sie nahm er die Welt in sich auf, setzte sie in ein Verhältnis zu seiner Kunst und spendete so den Empfängern - und den heutigen Lesern - Trost. So jedenfalls sein Anliegen. Vincent van Gogh (1853-1890) wollte „eine trostreiche Kunst für die bedrückten Herzen“ schaffen. Dabei war er es, der häufig Trost brauchte; er, der „oft schrecklich und reizbar“ war, einsam, am Leben und seiner Kunst verzweifelnd. Van Gogh hatte dieses „große Feuer in seiner Seele“, mit dem diese Briefe geschrieben wurden und aus dem seine große Kunst entstanden ist.

In einer wunderbaren Lesung aus diesen Briefen in der Lengfeld’schen Buchhandlung wurde dies auf exemplarische Weise deutlich. Und dieses Empfinden wird der Leser auch bei der persönlichen Lektüre der eindrucksvollen Briefe des großartigen Künstlers haben.

Denn in diesem Künstlerleben ging es nicht ohne Bedrängnisse, ohne Rückschläge ab. Das kommt vor allem in den Briefen an seinen Bruder Theo zum Ausdruck, der bis an die Schmerzgrenze das mühsame Leben des Bruder ertragen musste, ertragen hat. Vor allem die Briefe an ihn sind von einer oft bedrückenden Eindringlichkeit - so, wenn sich van Gogh mit seinen großen Lebensfragen Religion und Kunst, Leben und Sterben auseinandersetzte. Diese Briefe revolutionieren sozusagen das Bild des Menschen und Malers Vincent van Gogh und zeigen das Genie jenseits verklärender (Roman-) Biografien und Filme.

Insgesamt 903 Briefe hat Vincent van Gogh in den Jahren 1872 bis zu seinem Tode 1890 geschrieben. 265 davon an seinen Bruder Theo, seinen „Lebensmenschen“, an seine Schwester Wil, an Freunde und Malerkollegen, vor allem Paul Gauguin. Fragen der Kunst werden ebenso thematisiert wie Fragen der Religion, der Familien (ein besonderes Kapitel im Leben dieses Ausnahmekünstlers). Und nicht zuletzt ist es der Seelen- und letztlich auch sein Geisteszustand, mit der er sich auseinandersetzt. So ist dieses Buch eine Autobiografie in Briefen, wie man sie besser und eindrucksvoller nicht schreiben kann.

In einem Brief vom 19. Februar 1890 an eine Schwester heißt es: „Natürlicherweise, durch ständige geistige Arbeit, nimmt das Denken eines Künstlers bisweilen etwas Übertriebenes und Exzentrisches an“. Und am 10./14. Juli 1890 schreibt er noch einmal an Mutter und Schwester: „Ich bin völlig von der endlosen Weite der Kornfelder vor den Hügeln absorbiert, weit wie ein Meer, feines Gelb, feines zartes Grün, feines Lila…Ich bin ganz und gar in einer Stimmung fast allzu großer Gelassenheit…“. Am 4. Mai 1890 - van Gogh befindet sich, nachdem er sich mit einem Messer ein Ohrläppchen abgeschnitten hat, in einer Anstalt in Saint-Rémy-de-Provence - schreibt er an Bruder Theo: „Was mich betrifft, meine Geduld ist zu Ende, zu Ende, mein lieber Bruder, ich kann nicht mehr…“.

Am Ende dieses kurzen, ereignisreichen, schweren Lebens also blieben Schwermut und Einsamkeit. Was ihn letztlich am 27. Juli 1890 veranlasste, sich auf den Feldern von Auvers-sur-Oise mit einer Pistole in die Brust zu schießen, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Auf jeden Fall verlor Vincent van Gogh das Bewusstsein, doch gelang es ihm noch bis zu seiner Unterkunft zu kommen. Am 29. Juli 1890 starb der geniale Künstler. An seinem Sterbebett saß sein geliebter Bruder Theo.

© Günter Nawe

Vincent van Gogh, „Manch einer hat ein großes Feuer in seiner Seele“. Die Briefe. Verlag C. H. Beck, 1056 S., 68,- €

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