Buchtipp vom

Wilhelm von Sternburg über Lion Feuchtwanger

"Ich lege also Zeugnis ab"
Sterburg Feuchtwanger

Das Buch ist nicht neu. Bereits vor 30 Jahren hat der Journalist und Schriftsteller Wilhelm von Sternburg eine (seine) Feuchtwanger-Biographie veröffentlicht. Inzwischen sind zwar eine Reihe von Büchern über Lion und Martha Feuchtwanger und  ihre Weggefährten erschienen. So jetzt die Biographie von Andreas Heusler (Lion Feuchtwanger: Münchner-Emigrant-Weltbürger. Residenz-Verlag). Sternburgs Biographie aber hat dennoch ihre Gültigkeit behalten.

Nun legt der Autor dieses Buch erneut vor: Ergänzt um Erkenntnisse, die er der erst kürzlich möglichen Einsicht in das russische Staatsarchiv und in die Archive des FBI erworben und in dieses Buch eingearbeitet hat. Damit ist auch ein besonderer Aspekt dieser Biographie bereits benannt: Feuchtwanger als homo politicus. Auch gelang es dem Biographen, die bisher unbekannten Briefe von Benjamin Huebsch, des amerikanischen Verlegers von Lion Feuchtwanger, und von Feuchtwangers Freundin Eva Herrmann einzusehen. Damit erfährt die Biographie von 1984 eine wesentliche Bereicherung.

Lion Feuchtwanger (7. Juli 1884 – 21. Dezember 1958) war wohl einer der bedeutendsten und vor allem beeindruckendsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Sein Lebenslauf war der Geschichte der Zeit angepasst und sein immenses Werk legte Zeugnis ab von dieser Geschichte, von ihren Verwerfungen und Irritationen,  von Ängsten und Verfolgungen, von den geistigen Strömungen und den politischen Implikationen. Lion Feuchtwanger war ein sehr wirkungsvoller Akteur in seiner Zeit.

Der in München in eine großbürgerlich-jüdische Kaufmannsfamilie hinein geborene Feuchtwanger machte Abitur, studierte in München und Berlin Germanistik, Philosophie und Sanskrit. Schon sehr früh begann er zu schreiben – zuerst für das Theater, später dann wie allgemein bekannt als äußerst erfolgreicher Romancier.

Mit seiner schönen und intelligenten Frau Martha reiste Feuchtwanger durch Europa und Nordafrika. Den Ersten Weltkrieg erlebte er – allerdings nur für wenige Monate – als Soldat. Davon unbeeinflusst: Feuchtwanger schrieb und schrieb: Nachdichtungen, Dramen und Schauspiele. 1919 begannen die Freundschaft und die Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht. Und 1925 erschien der erste Roman „Jud Süß“ des „Meisters des historischen Romans“. Er bewies sich mit diesem und seinem späteren umfangreichen Werk – wie Sternburg schreibt – als hochgebildeter Künstler, „als von der Philosophie der Antike, dem europäischen Humanismus und der Aufklärung geprägter Sohn des deutschen Bürgertums“.

Sternburg verfolgt den Lebensweg des Lion Feuchtwanger, des Dichters und Kosmopoliten und letztlich Weltautors, im Kontext zur Zeitgeschichte. Seine Biographie zeigt den Autor Feuchtwanger in dieser Zeit - und wie sich die Zeit in seinem Werk widerspiegelt. So macht Sternburg die Biographie seines Autors vor allem am Werk fest. Ausführliche Beschreibungen und Interpretationen des Werks nehmen einen großen Raum in diesem Buch ein. So werden viele Theaterstücke und die einzelne  Romane wie “Jud Süß“, „Margarete Maultasch“, „Erfolg“, „Goya“, Die Jüdin von Toledo“ (von Marcel Reich-Ranicki als „ein neues Meisterwerk deutscher Prosa“ bezeichnet), die „Josephus-Trilogie“ und „Exil“ ausführlich abgehandelt.  Diese Romane und ihre Abhandlungen stehen zwar immer in enger Beziehung zur Biographie Feuchtwangers. Aber an dieser Stelle tut Sternburg oft etwas zuviel – und zwar zu Lasten der Lebensumstände Lion Feuchtwangers. Gern hätte der Leser – nicht stattdessen sondern auch - etwas mehr erfahren: von den Ereignissen des Lebens des von den Nazis vertriebenen Dichters, von den Freundschaften mit Thomas Mann, Bertolt Brecht, Bruno Frank, Heinrich Mann und vielen anderen; aber auch von seinen Beziehungen zu Frauen, die diesen homme à femmes mehr oder weniger begleitet haben. Vor allem seit seinem Exil-Aufenthalt in den dreißiger Jahren im französischen Sanary-sur-Mer, später dann in Los Angeles, in der „Villa Aurora“, die zum Treffpunkt seiner literarischen und künstlerischen Weggefährten wurde. Waren doch gerade auch diese Begegnungen für Feuchtwanger von großer Bedeutung.

Zeitlebens hat sich Lion Feuchtwanger auch als ein homo politicus bewiesen. Der Nazi-Gegner und selbstbewusste Jude – er hat sich immer zu seinem Judentum, das er allerdings nicht praktizierte, bekannt – hat sich als Demokrat und Sozialist gesehen. Das sollte ihm nicht nur Freunde machen. So war sein Bericht „Moskau 1937“, basierend auf einer Reise in die Sowjetunion, ein unkritisches Bekenntnis („Ich lege also Zeugnis ab“) zum Sozialismus sowjetischer Prägung und zu Stalin. Sternburg befasst sich ausführlich mit dieser Reise, mit diesem Bericht und seinen Folgen. Damit geriet Feuchtwanger sozusagen zwischen die Fronten – auch später, im Kalten Krieg. Feuchtwanger hat sich nie von diesem Bericht distanziert. Ob aus Überzeugung? Sternburg sieht Feuchtwanger nicht als Kommunisten, der aus ästhetischem Grund dieser Ideologie verfallen ist, sondern eher als einen etwas  „skeptischen Optimisten“. Dazu passt das Zitat am Ende des Berichts: „Es tut wohl, nach all der Halbheit des Westens ein solches Werk zu sehen, zu dem man von Herzen ja, ja, ja sagen kann. Und weil es mir unanständig schien, dieses Ja im Busen zu bewahren, darum schrieb ich dieses Buch“. Ein Satz von verblüffender Ehrlichkeit.

Wilhelm von Sternburg hat diese Biographie mit sehr viel kritischer Sympathie geschrieben. Es ist ihm sicher auch deshalb ein sehr lesenswertes und überzeugendes Lebensbild des Lion Feuchtwanger gelungen. Ein Buch, das dazu angetan ist, die Romane des Autors Lion Feuchtwanger wieder auf die persönliche Leseliste zu setzen. Nicht alle sind „Meisterwerke“, alle aber durchweg interessant, literarisch, zeithistorisch spannend und häufig von immer noch aktueller Bedeutung.

© Günter Nawe

Wilhelm von Sternburg, „Lion Feuchtwanger“
Aufbau-Verlag, 543 S., 26,- €

Sterburg Feuchtwanger

zurück